Es war ein ganz normaler Nachmittag, als mein Handy klingelte.
Der Innenarchitekt, mit dem ich häufig zusammenarbeite, war dran:
„Hast du Lust, eine acht Meter lange Wand in einem Fitnessstudio zu bemalen?“
Ich: "klar, wann?"
"Nächste Woche!"
Ich: "Oh... Wo?"
„In Göppingen.“
Göppingen. Zwei Stunden entfernt.
Ein Löwengebrüll reißt mich aus dem Moment . Das Lieblingsbuch meiner sieben Monate alten Tochter, die hinter mir auf dem Boden spielt.
Und plötzlich überschlagen sich in meinem Kopf die Fragen:
Wie überstehe ich zwei Stunden Autofahrt ohne Schrei-Alarm?
Wie kriege ich sie dort zum Schlafen?
Wer kommt überhaupt mit?
Bleiben wir über Nacht ?
Und wie zum Teufel male ich ein Mural, wenn mein Baby den ganzen Tag nicht von mir weg will?
Eine Sekunde später höre ich mich sagen:
„Ich mach’s!“
Mein Herz rast. Keine Ahnung, wie ich das anstellen soll, aber hey – bisher hat immer alles irgendwie geklappt.
Also.
Challenge accepted.
Der Countdown läuft
Ich rufe meine Mutter an: „Lust auf einen Ausflug nach Göppingen?“
Nach kurzer Überredung sagt sie Ja, "aber nur mit Hotel.“
Deal! Hotel wird gebucht, und ich mache mich an die Entwürfe.
Zum ersten Mal will ich meine neue VR-Brille nutzen, um den Entwurf direkt an die Wand zu skizzieren. Funktioniert das? Keine Ahnung. Egal. Wir finden’s raus.

Der große Tag – und der große Regen
Eine Woche später fahren wir im Morgengrauen los. Ich, meine Mutter und mein kleines Löwenbaby.
Es regnet in Strömen, natürlich. Baustellen ohne Ende, natürlich. Das Baby wird quengelig, natürlich.
Aus zwei Stunden werden drei.
Als wir ankommen, bin ich schon erschöpft – und eigentlich hat die Arbeit noch gar nicht begonnen.

Zwischen Muskeln, Handwerkern und Technomusik
Wir kommen in der neuen TOPFIT-Filiale an.
Statt klassischem Gym-Vibe erwartet uns eher Club-Atmosphäre: schwarz Wände, Dämmerlicht, Technomusik.
Perfekt für ein Baby – absolut nicht.
Wir richten uns im Kursraum ein. Spielmatte raus, Baby drauf, Kinderwagen als Materialtransporter. Zwischen Farbeimern, Pinseln und Leiter versucht meine Mutter, meine Tochter bei Laune zu halten.

Ich klebe ab, richte mich ein, setze die VR-Brille auf – und es funktioniert tatsächlich. Erleichterung pur. Ich skizziere die Vorzeichnung auf die Wand.

Zwischendrin stille ich, trage meine Tochter in den Schlaf, lege sie ab.
Endlich schläft sie. Puh.
20 Minuten später bin ich oben auf der Leiter, als eine Frau zur Tür rein will.
Ich: „Mein Baby schläft da drin, könnten Sie bitte ganz le—“
Sie: „Wie? Ich geb gleich einen Kurs hier!"
Perfekt.
Meine Tochter ist den ganzen Tag quengelig, will zu mir, weint viel. Ich fühle mich zerrissen: Mama-Gewissen links, Künstlerinnen-Stress rechts.
Aber wir ziehen es durch.
Stunde um Stunde. Strich um Strich.
Es ist eine echte Herausforderung, die Linien mit der Rolle in einem einzigen Zug sauber aufzutragen und den Druck gleichmäßig zu halten. Sobald man ein zweites Mal darüberrollt, werden die Linien unruhig – und kleine Patzer sind vorprogrammiert.

Gegen Abend bin ich endlich fertig. Der Druck fällt ab. Ich könnte heulen vor Erleichterung.

Hotel, Essen, Schlaf – und dann der Schock
Wir fahren ins Hotel, bringen das Baby ins Bett, bestellen Essen, fallen um.
Am nächsten Tag geht’s mit Muskelkater zurück. Wieder Regen. Wieder drei Stunden Fahrt.
Zuhause packen wir das Auto aus, atmen durch, freuen uns auf die ersehnte Pause.
Dann sehe ich den verpassten Anruf des Innenarchitekten.
Oh nein.
Was, wenn etwas nicht stimmt?
Mängel? Kritik? Nacharbeiten?
Ich rufe an – Anspannung pur.
Es kommt das Gegenteil.
Er: „Es ist großartig geworden! … Sag mal… könntest du vielleicht auch noch eine zweite Wand bemalen? Morgen?“
Morgen. 🤯
Einen Tag später (an meinem Geburtstag) eröffnet das Studio.
Mein Kopf rattert:
Nochmal alles packen?
Nochmal die Fahrt?
Nochmal Baby + Baustelle + Stress?
Eine Stunde lang wälzen wir alles hin und her.
Es fühlt sich an wie eine unmögliche Entscheidung – Herz gegen Vernunft, Mut gegen Müdigkeit.
Meine Mutter sagt schließlich:
„Wenn du es willst, mache ich das nochmal mit. Wir schaffen das.“
Ich starre auf meine Hände.
Kann ich meinem Kind das wirklich noch einmal zumuten?
Der erste Tag war hart. Für uns alle.
Ich schwanke, zweifle, überlege.
Und dann kippt etwas in mir.
Ich sehe zu meiner Mutter hoch und sage:
„Komm… wir machen’s.“
Hotel erneut gebucht. Auto wieder vollgeladen. Baby wieder angeschnallt.
Runde zwei – und plötzlich läuft’s
Und wisst ihr was?
Die zweite Runde war ein Traum.
Wir waren eingespielt.
Meine Tochter war entspannt.
Meine Mutter war es auch.
Ich arbeitete konzentriert und viel schneller.
Alles, was vorher holprig war, lief jetzt wie geschmiert.
Ich konnte mich auf die Kunst konzentrieren und einfach tun, was ich liebe.
Und am Ende war ich so unglaublich dankbar, dass ich mich getraut habe, nochmal Ja zu sagen.

Wir ließen den gelungenen Tag bei einem guten Essen ausklingen, schliefen endlich tief und ruhig – und am nächsten Morgen feierten wir nicht nur meinen Geburtstag beim Frühstück, sondern auch den krönende Abschluss unserer kleinen Heldinnenreise.
Was ich aus diesem Abenteuer gelernt habe
Ich habe gelernt, dass Mut nicht bedeutet, alles im Griff zu haben – sondern trotzdem loszugehen.
Und dass man manchmal einfach „Ja“ sagen muss, bevor der Kopf tausend Gründe dagegen findet.
Ich habe gemerkt, wie viel entsteht, wenn man vertraut: dem Prozess, dem eigenen Können und dem kleinen Funken, der sagt „Probier’s aus.“
Denn oft zeigt sich erst mittendrin, wozu man tatsächlich fähig ist.

Dieses Mural war nicht nur ein Auftrag.
Es war ein Beweis an mich selbst:
Ich kann Mama sein und Künstlerin – gleichzeitig, chaotisch, mutig, stolz.
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